13/12/2021

Podiumsdiskussion "XR-Technologien für mehr Lebensqualität"

Beim BMBF-Abschlusstreffen der Projekte der Förderbekanntmachung "Interaktive Systeme in virtuellen und realen Räumen - Innovative Technologien für ein gesundes Leben" moderierte Céline Gressel die Podiumsdiskussion "XR-Technologien für mehr Lebensqualität"

Am 7.12.2021 fand die Abschlussveranstaltung der BMBF-Projekte der Förderbekanntmachung „Interaktive Systeme in virtuellen und realen Räumen – Innovative Technologien für ein gesundes Leben“ statt. Im Rahmen dieser Veranstaltung wurden nicht nur die Ergbenisse aus drei Jahren Forschung und Entwicklung in diesem Feld vorgestellt, sondern im Rahmen einer Posiumsdiskussion auch weiterführende Konzepte diskutiert.

Céline Gressel

Céline Gressel, die als Techniksoziologin Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften der Universität Tübingen und ELSI-Partnerin im Projekt HIVE-Lab, in den vergangen drei Jahren eng mit den für die Podiumsdiskussion ausgewählten Projekten zusammenarbeiten und sowohl Einblicke in ihre Arbeit gewinnen als auch neue Perspektiven in die Projekte einbringen konnte, diskutierte zum Thema „der Umgang mit dem Konzept der Lebensqualität“ mit Partnern aus den Projekten.

Für das Projekt ExoHaptik sprach Matthias Aust. Er ist Computervisualist, Koordinator des Projektes und beschäftigt sich am Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation in Stuttgart mit Virtuellen Realitäten.

Prof. Dr. Matthias Aust
Prof. Dr. Georg Michelson

Georg Michelson vertrat das Projekt IDeA. Er ist Professor an der Universitäts-Augenklinik an der Universität Erlangen und war sowohl als Vertreter der ausgeründeten Firma Talking Eyes wie auch als medizinischer Partner Teil des Projektes IDeA.

Holger Klapperich
Fabian Mertl

NOSTRESS wurde von Holger Klapperich und Fabian Mertl vertreten. Holger Klapperich ist Designer mit dem Schwerpunk wohlbefindensorientiertes Design und befasste sich in NOSTRESS und HIVE-Lab mit Fragen des Co-Designs. Fabian Mertl war in NOSTRESS zuständig für die technische Integration der unterschiedlichen Technologien in das System

Prof. Dr. Albrecht Schmidt

Albrecht Schmidt ist Lehrstuhlinhaber am Institut für human centered ubiquitous media an der LMU München und war sowohl an den Projekten HIVE-Lab als auch IDeA beteiligt und untertütze bei der Moderation.

Perspektiven auf Lebensqualität

Alle Projekte, die bei dieser Prodiumsdsikussion vertreten waren, haben die Gemeinsamkeit, dass sie sich mit Anwendungen von XR beschäftigt haben, die die Lebensqualität der Anwendenden verbessern sollen. Dabei setzen sie auf unterschiedlichen Ebenen an. Während in NOSTRESS die Entspannung im Alltag und deren gesundheitsfördernde Wirkung als ein Faktor für Lebensqualität in den Fokus gerückt wurde, stand in ExoHaptik die Gesunderhaltung des Bewegungsapparates am Arbeitsplatz pflegender Personen im Vordergrund. IDeA dagegen hatte weniger den Anspruch präventiv zur Erhaltung der Lebensqualität beizutragen, als vielmehr Personen mit eingeschränkter Sehfähigkeit durch Unterstützung bei der Diagnose und Hilfe im Alltag, ein Stück Lebensqualität zurückgegeben zu können.

Diese Vielfalt der Projektgegenstände und ihrer Perspektiven auf Lebensqualität rührt unter anderem daher, dass die Definition dessen, was Lebensqualität ausmacht nicht trivial ist. Jeder Mensch trägt zwar eine subjektive Vorstellung in sich, welche Kriterien erfüllt sein müssten, damit er oder sie von einer guten Lebensqualität sprechen könnte. Diese Vorstellungen können aber zwischen Individuen stark variieren.

Gleichzeitig befassen sich unterschiedlichste wissenschaftliche Disziplinen mit jeweils spezifischen Ausprägungen und Komponenten von Lebensqualität. So fragt die Psychologie beispielsweise nach dem subjektiven Wohlbefinden, dass sich durch die Bewertung des Lebens in Bezug auf Lebenszufriedenheit und Glück (wie z.B.: von Diener 2009 oder Bradburn 1969 beschrieben) definiert.

Die Philosophie legt einen anderen Schwerpunkt, wenn sie nach dem Guten Leben fragt, dass sich nicht nur auf das subjektiv wahrgenommene Wohlbefinden konzentriert, sondern z.B. Fähigkeiten (wie Körperliche Integrität oder Sozialität, die Nussbaum 2011 in ihrem capabilities approach vorstellt) oder auch Tugenden, also sittlich richtiges Handeln als für ein gutes Leben unerlässlich, miteinbezieht.

Wenn wir in die Soziologie blicken, finden wir hier die Suche nach Faktoren, die die Verteilung von Lebensqualität in Gesellschaften beschreiben und erklären. Dabei steht unter anderen die Frage nach Ursachen und Folgen ungleicher Verteilungen (Hradil 2001) im Vordergrund.

Die Ökonomie dagegen betreibt Lebensstandard-Messungen, die verschiedene Regionen oder Länder anhand von Kennzahlen, die eng mit Wohlstand verbunden sind -wie das BIP- (Blanchard und Illing 2009) vergleicht.

Co-Design und Partizipation für mehr Lebensqualität

Matthias Aust beschrieb aus der Perpsektive von ExoHaptik, wie sich das Projekt dem vielschichtigen Konzept Lebensqualität, das sowohl subjektive wie auch objektive Elemente miteinander vereint angenähert hatte. Zu diesem Zweck setzte das Projekt auf eine Strategie besonderer Partizipation. Es wurden zwei Expert*innen aus dem Pfelgekontext kontinuiertlich in Form von Co-Design-Workshops in den Prozess der Entwicklung eingebunden. Da in ExoHaptik Pflegende erlernen sollen, wie sie Pflegeempfangende rückenschonend mobilisiern können, sind hier gleich mehrere Personengruppen Ziel der Fragesetllung. Denn nicht nur die Lebensqualität der zu Pflegenden soll durch den Einsatz von ExoHapitk erhöht werden, sondern auch die der Pfelgenden selbst. Durch die Einbindung des Settings an die Prozesse am Arbeitsplatz, wurden die Anforderungen an das System zusätzlich erhöht.

Home-Care als Faktor für mehr Lebensqualität

Wie in ExoHaptik, ging es auch in IDeA um den Zusammenhang von Gesundheit und Lebensqualität. Dabei wurde un IDeA jedoch kein im engeren Sinne präventiver, sondern ein telemedizinischer, diagnostischer und unterstützender Ansatz verfolgt. Durch die Verlagerung der Diagnose in das Zuhause der Anwendenden sollte deren Lebensqualität nicht zusätzlich durch zahlreiche Fahrten zu Untersuchungen eingeschränkt werden. Dabei musste IDeA ganz besondere Voraussetzungen erfüllen, da eine vulnerable Personengruppe – Menschen mit Sehbeienträchtigung – zum Gegenstand gemacht wurde, die in die Testung und Weiterentwicklung des Systems integriert werden sollten. Gleichzeitig bewegt sich IDeA aber in einem medizinischen Kontext, der ganz eigne Ansprüche an eine technologische Entwicklung stellt.

Georg Michelson berichtete neben medizinischen Perspektiven auf Lebensqualiät, die anahnd der Erhebung verschiedener Items Lebensqualität messern von den Herausforderungen, vor die das Projekt bei seinem Ziel, die Diagnose aus dem gut kontrollierbaren Setting in medizinischen Umgebungen auf ein Gerät zu transferieren, dass die Anwendenden in ihrer häuslichen Umgebung selbstständig nutzen, gestellt wurde.

Für die nächsten zehn Jahre hält Georg Michelson eine Weiterentwicklung von Systemen zur häuslichen Diagnostik für wünschenswert und sehr wahrscheinlich. Das Potenzial solcher Anwendungen sei noch nicht ausgenutzt. Dabei ist aber zu bedenken, dass solche Systeme Untersuchungen vor Ort nur ergänzen, nicht aber vollkommen ersetzen können.

Digitale Entspannung

Zum Ende der Diskuission wurde von Nostress vorgestellt, zu welchen Ergebnissen das Projekt gekommen war. Lebensqualität würde man ja im alltäglichen Verständnis nicht sofort mit der Nutzung digitaler Medien zusammenbringen. Immer wieder wird uns gesagt, dass wir unsere Bildschirmzeit reduzieren, und uns mehr bewegen müssten. Digitalität und Entspannung positiv zusammen zu betrachten, scheint auf den ersten Blick ungewöhnlich. Das erkennen wir schon allein daran, dass Vieles, was wir über Entspannung und ihre Auswirkungen auf die Lebensqualität wissen, bislang nur für physische Umgebungen erforscht wurde. Doch gerade hier stellen sich viele Fragen zur Übertragbarkeit in virtuelle Umgebungen. Wie Holger Klapperich erklärte, waren diese Fragen ein Schwerpunkt in der Arbeit in Nostress. Auch hier wurden Experti*innen in den Entwicklungsprozess integriert, um den Erfolg der Anwendung sicherstellen zu können. Das wohl wichtigste Ergebnis des Projektes ist wohl, dass Entspannung in virtuellen Räumen möglich ist und erfolgreich praktiziert werden kann. Dabei sei aber sehr sensibel auf die eigenen Bedürfnisse zu achten. Nur ein verantwortungsvoller, wohl dosierter Gebrauch des virtuellen Systems führe zum gewünschten Effekt.

Fabian Mertl ergänzte diese Darstellung durch die Benennung von Grenzen der Umsetzbarkeit digitlaler Entspannungsprakitken in VR.

Literatur

Diener, E. (2009). Subjective well-being. The science of well-being, 11-58.

Bradburn, N. M. (1969). The structure of psychological well-being.

Nussbaum, M. (2011) Creating Capabilities: The Human Development Approach, Belknap
Press, Cambridge, MA.

Hradil, S. (2001). Soziale Ungleichheit in Deutschland, 8. Aufl., Opladen: Leske + Budrich, 546 Seiten (unter Mitarbeit von Jürgen Schiener).

Blanchard, O. und Illing, G. (2009). Makroökonomie. Pearson Education, ISBN 3-8273-7363-8, S. 313ff.

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